PROJEKTREPORTAGE

Musée cantonal des Beaux-Arts
Lausanne

Barozzi/Veiga, Barcelona (ES)

Schutzwall für die schönen Künste

  • Autorin: Julia Macher
  • Fotos: Cornelia Suhan, Dominik Gehl

Neues Leben auf altem Grund – ein verlassenes Bahnhofs-viertel im Herzen Lausannes wird derzeit in ein ansprechen-des Museumsquartier umgewandelt. Mit dem Musée cantonal des Beaux-Arts stellte das Architekturbüro Barozzi/Veiga nun den ersten von zwei Neubauten fertig, einen imposanten weißgrauen Klinkerbau mit Fernwirkung.

Neues Leben auf altem Grund – ein verlassenes Bahnhofsviertel im Herzen Lausannes wird derzeit in ein ansprechendes Museumsquartier umgewandelt. Mit dem Musée cantonal des Beaux-Arts stellte das Architekturbüro Barozzi/Veiga nun den ersten von zwei Neubauten fertig, einen imposanten weißgrauen Klinkerbau mit Fernwirkung.

Das Musée cantonal des Beaux-Arts von Barozzi/Veiga ist der erste Neubau des geplanten Museumsquartiers Plateforme 10 in Lausanne.

Wer mit dem Zug nach Lausanne reist, nimmt das Musée cantonal des Beaux-Arts (MCBA) zunächst als vorbeifliegende Mauer wahr. Das neue Kunstmuseum, von dieser Seite ein wuchtig wirkender, 145 Meter langer, 22 Meter hoher und 21 Meter tiefer Riegel, steht direkt neben den Schienen: Wie ein architektonischer Schutzwall soll der Bau das hier geplante Museumsquartier Plateforme 10 vom Lärm und Staub des benachbarten Bahnhofs abgrenzen und das in Vergessenheit geratene Bahnhofsviertel deutlich aufwerten. In Anlehnung an die Geschichte des Ortes entschieden sich die Architekten für Klinker als Fassadenmaterial. Große Sorgfalt und Liebe zum Detail zeigten sie in der Wahl von Farbe und Oberflächenstruktur der Steine, die eigens für das Projekt gefertigt wurden. Dass das Museum viel mehr ist als ein stadtplanerischer Eingriff, wird klar, sobald man den gegenüberliegenden Vorplatz betritt. Hier zeigt sich der Bau des Architekturbüros von Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga aus Barcelona in seiner ganzen Persönlichkeit. Während die zur Bahntrasse ausgerichtete Südfassade fast gänzlich verschlossen bleibt, lockern auf der Nordseite in regelmäßigen Abständen lamellenartige, anderthalb Meter tiefe und haushohe Pilaster die Gebäudeansicht auf. Dazwischen liegen immer wieder große Fenster, durch die herankommende Besucher strategische Einblicke in die Innenräume erhaschen können. Fast unwirklich wirkt die Schlankheit der Pilaster, löst ein Mauerwerk in unserem Unterbewusstsein doch eher die Assoziation von Massivität aus. Die filigrane Umsetzung war nur durch den Einsatz von Ziegel-Fertigteilelementen möglich.

Die fast vollständig geschlossene Südfassade schützt das neu entstehende Quartier vor den angrenzenden Bahnschienen.

Betritt man das Museum durch den Haupteingang, verflüchtigt sich der erste Eindruck eines massiven Klotzes dann vollständig. Der Besucher steht in einer großzügigen, 22 Meter hohen Eingangshalle. Durch Sheds auf dem Dach und eine riesige, bogenförmige Öffnung fällt üppig Licht in dieses Foyer. Hier haben die Architekten das Gewölbe der alten Lokremise nachgebildet, die sich früher auf dem Gelände befand. Die breite Treppe, die auf das Bogenfenster zuführt und sich dann in einen rechten und linken Aufgang teilt, lässt den Raum erhaben wirken und strukturiert zugleich das Museum: In den beiden Obergeschossen im Ostflügel werden künftig auf 1.100 Quadratmetern Wechselausstellungen gezeigt. Die 1.700 Quadratmeter in den Obergeschossen des Westflügels sind der chronologisch aufbereiteten Sammlung von Werken ab Mitte des 18. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart vorbehalten. Im Erdgeschoss befinden sich Cafeteria, Buchhandlung, Auditorium, ein Projektraum für Gegenwarts-kunst, die Schreinerei sowie technische Einrichtungen. Auch die Restaurationswerkstatt und ein Fotostudio sind im Gebäude untergebracht. „Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir genug Platz, um unsere Sammlung angemessen zu präsentieren“, freut sich Nicole Schweizer, Kuratorin für zeitgenössische Kunst. Im alten Domizil im Palais de Rumine konnte auf den zur Verfügung stehenden 1.200 Quadratmetern Ausstellungsfläche bislang nur ein kleiner Teil der über 11.000 Werke dauerhaft präsentiert werden.

Besonders fällt die Schlankheit der einzelnen Pilaster ins Auge.

Zu den Wünschen der Museumsbeauftragten an den neuen Bau zählte neben mehr Platz auch natürliches Licht. “wir kannten das von unserem alten Haus und wussten, dass man sich durch natürliches Licht anders bewegt“, so Schweizer. „Dieses Raumgefühl wollten wir beibehalten.“ Aus entwerferischer Sicht war das eine komplexe Aufgabe, schließlich muss das Licht je nach Ausstellungsinhalt unterschiedlich reguliert werden. Die Architekten trugen dem mit verschiedenen Ansätzen Rechnung. Im ersten Obergeschoss wechseln sich hermetische Säle mit Räumen ab, in die über die Fensteröffnungen in der Nordfassade natürliches Licht einfällt – vor direkter Sonneneinstrahlung schützen die außen vorgestellten Pilaster, die helle Farbe der Klinker reflektiert dennoch ausreichend indirektes Licht in die Innenräume. Die Säle im zweiten Obergeschoss werden über eine Landschaft aus Sheds mit Licht versorgt. Hänge-vorrichtungen sorgen dafür, dass die Trichter bei Bedarf partiell abgedunkelt werden können. Die Ausstattung ist hochwertig und die Ausstellungsbedingungen machen klar: Mit der Größe des Hauses ist auch die Ambition gewachsen. Im Verbund mit dem Museum für Design und angewandte Kunst (mudac) und der Fotogalerie Elysée Lausanne will das Musée cantonal des Beaux-Arts ein internationales Publikum nach Lausanne locken. Der von den portugiesischen Architekten Manuel und Francisco Aires Mateus geplante Kubus für die beiden Museen soll 2021, das gesamte Areal des Kunstquartiers Plateforme 10 im Jahr 2026 fertiggestellt werden.

Erdgeschossgrundriss mit Einbindung in die Umgebung.
Mehr Platz und natürliches Licht waren die Wünsche der Museumsbeauftragten an das neue Gebäude und wurden in ihrem Sinne umgesetzt.
Die bogenförmige Fensteröffnung ist dem Gewölbe des ehemaligen Lok-gebäudes nachempfunden und lässt großzügig Licht in das Foyer.

Im MCBA erhält man bereits jetzt einen Eindruck, wie mit den dann erwarteten, wachsenden Besucherzahlen umgegangen wird. Um das Gefühl von Enge gar nicht erst aufkommen zu lassen, sucht das Gebäude immer wieder den Dialog mit der Umgebung. Besonders eindrucksvoll geschieht das im Westflügel. Durch ein Panoramafenster im zweiten Obergeschoss – die einzige große Öffnung in der sonst kompakten Südfassade – fällt der Blick über Bahntrassen und Stadt zum See und reicht an schönen Tagen bis nach Genf. Gegenüber öffnet sich auf Höhe des ersten Obergeschosses die Fassade zum Platz. Dazwischen befindet sich eine atriumartige, große Freitreppe mit Sitzstufen – zum Innehalten und Ausruhen. „Mir gefällt der Rhythmus des Gebäudes: Ich mag, wie sich außen und innen abwechseln“, lobt Nicole Schweizer das noch leere Haus. Wie der Rhythmus des Museums wirkt, wenn Kunst seine Säle füllt, zeigt sich ab Oktober 2019. Dann wird im Prestigeprojekt des Schweizer Kantons Waadt zum ersten Mal eine Ausstellung zu sehen sein.

In der Fassade werden immer wieder verschiedene Bezüge zwischen innen und außen hergestellt.

Architekten

Barozzi/Veiga

www.barozziveiga.com

2004 gründeten die Architekten Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga ihr Büro mit Sitz in Barcelona. Seither haben Barozzi/Veiga eine Vielzahl an öffentli-chen und privaten Projekten realisiert. Die Liste der Preise und Auszeich-nungen, die sie für ihre Arbeiten erhalten haben, ist lang, allen voran den Mies van der Rohe Award, der ihnen 2015 für den Bau der Philharmonie in Stettin verliehen wurde. Material ist für die Architekten ein wichtiges Instrument in der Gestaltung eines Gebäudes. Unter ihren Entwürfen finden sich Fassa-den aus weißen Glasblöcken und Aluminium, reliefartigem Sichtbeton und goldglänzendem Metall. Am Kunstmuseum in Lausanne setzen sie zum ersten Mal Ziegel in großem Maßstab ein.

 

Projekte (Auswahl)

2018 Tanzhaus Zürich, Zürich (CH)
2017 Music School, Brunico (IT)
2016 Museum of Fine Arts, Chur (CH)
2014 Philharmonic Hall Szczecin, Stettin (PL)
2011 Regulatory Council for the D.O. Ribera del Duero, Roa (ES)

 

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